Ehrenpreis 2013
Hommage Michael Gwisdek 2013
„Der deutsche Film ist nicht schlecht, Ihr habt nur schlechte Laune“
Filmkunstfest ehrt Michael Gwisdek für sein Lebenswerk mit dem „Goldenen Ochsen“ / Reihe mit seinen Erfolgsfilmen in der Hommage
Man kann ihm nicht entkommen. Nicht im Kino und nicht im Fernsehen. Abgesehen davon, dass man es auch gar nicht will. Märchenkönig und Hochstapler, Nachtgestalt und Gottvater und immer wieder Vaterfiguren. Natürlich, Michael Gwisdek ist im Januar 71 geworden.
„Dafür habe ich eigentlich meine Agentur, die mir charmant Angebote vom Hals halten soll. Aber ich kann einfach nicht ablehnen. Ich arbeite sehr gern, mir macht das Spaß“, erzählt Gwisdek am Telefon. Für ein persönliches Treffen, siehe oben, war keine Zeit.
„Freunde lästern manchmal, wie kannst du nur im ,Traumschiff‘ mitspielen. Na und? Wir haben in Mexiko gedreht, das war meine schönste Reise. Ich hatte immer eine Grundregel: Hast du noch einen anderen Film? Nein? Dann spiele. Spielen ist immer besser als Nichtspielen.“
So kam nach Gwisdeks Studium an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin und seinen Jahren am Theater in Karl-Marx-Stadt, am Deutschen Theater und an der Volksbühne eine stolze Liste von mehr als 100 Filmen zusammen. Angefangen von Die Toten bleiben jung (1968) und den Defa-Indianerfilmen Spur des Falken (1968) und Weiße Wölfe (1969) bis zu Oh Boy im vergangenen Jahr.
Gerade in diesem grandiosen Schwarz-Weiß-Film von Jan-Ole Gerster gibt es wieder diese eine Szene, in der die ganze Kunst des Michael Gwisdek aufscheint. Er spielt einen geheimnisvollen, angetrunkenen Mann, der dem Nachtstreicher Niko am Tresen auf den Leib rückt und von einer Kindheitsschuld erzählt. Ähnlich unvergesslich eine verwandte Situation in dem Film Coming Out (1989) mit Gwisdek als schwulem Barmann. In solchen Momenten wird Schauspielkunst zur Magie.
„Ich hatte einige solche Absahner“, sagt der Charakterschauspieler, der mit diversen großen Preisen geehrt wurde, u.a. 1999 mit dem Silbernen Bären der Berlinale als bester Hauptdarsteller in Andreas Dresens Nachtgestalten. Da hatte sich ein Kreis geschlossen. Als 16-Jähriger sah Gwisdek Horst Buchholz auf dem roten Teppich vor dem Berlinale-Palast. „Das is ein juter Beruf“, sagte er sich und träumte davon, einmal auf der Berlinale-Leinwand zu glänzen. Traum erfüllt.
Dass Gwisdek in diesem Jahr gleich zwei Ehrenpreise für sein Lebenswerk bekommt, die „Paula“ vom Progress-Film-Verleih und den „Goldenen Ochsen“ vom filmkunstfest M-V, freut den Publikumsliebling natürlich. Andererseits sind Preise für das Lebenswerk Anlass, zurückzuschauen. „Das bringt einen ganz schön durcheinander. Auch die Niederlagen tauchen plötzlich aus der Erinnerung auf“, verrät Gwisdek, der sich im Laufe des Gesprächs als völlig uneitler Zeitgenosse erweist.
Niederlagen? Zu den drei Filmen, bei denen der Schauspieler auch Regie geführt und das Buch geschrieben hat – Treffen in Travers (1988), Abschied von Agnes (1994) und Das Mambospiel (1998) – hätte ruhig noch der eine oder andere hinzukommen können, meint er. Zumindest ein neues Drehbuch von Gabriela Gwisdek, seiner Frau, gibt es schon, unendlich viele Szenen und Ideen schwirren ihm im Kopf herum. Aber weil er vorerst nur Schauspieler ist, habe er ein leichteres und vergnüglicheres Leben.
Michael Gwisdek ist auch außerhalb von Leinwand und Bildschirm ein Urkomiker, das gefällt seiner Frau so gar nicht, die schnell zehn Schritte weitergeht, wenn er wieder eine seiner für sie peinlichen Slapstick-Nummern in der Öffentlichkeit hinlegt. Sich auf den Einkaufswagen wirft und durch den halben Supermarkt fährt, dass die Leute links und rechts in Sicherheit springen, oder wenn er im feinen Restaurant lang hinschlägt. „Ich bringe Leute gern in Verlegenheit, wenn Publikum da ist, mache ich irgendetwas Verrücktes. Nur glaubwürdig muss es sein. Das ist das Wichtigste im Beruf.“
Wenn er nicht Leute erschreckt, zieht sich Gwisdek gern in sein privates Kino im Keller seines Hauses in der Uckermark zurück. Als Gründungsmitglied der Filmakademie muss er für den Bundesfilmpreis jedes Jahr eine ganze Kiste voller Neuproduktionen schauen. Eine Gruselaufgabe? Gwisdek antwortet mit einer Anekdote. Nach einem Besuch der „Golden Globes“-Show, „Kasperletheater, Kindergeburtstag“, kam er zur Berlinale und fragte sich: „Wer ist denn hier gestorben? Warum so viel Kopflastigkeit?“ „Wenn ich zwei Stunden lang in einem Film die Betroffenheit der Schauspieler auf den Gesichtern sehe, renne ich raus und brülle wie Monty Python.“ Im Übrigen sei der deutsche Film gar nicht so schlecht. „Ihr habt nur schlechte Laune.“
Quelle: SVZ/Holger Kankel